Eines Morgens also, vor langer Zeit, in der großen Stille, kurz vor dem Einbruch des Dämmerungslosen Tages, als die Höllengeier noch glücklich waren, lag unser Junior nicht ganz so glücklich in seiner schönen Höhle und machte seine Hausaufgaben - oder zumindest das, was bei Höllengeiern als Hausaufgaben gilt. In seinem Fall handelte es sich um das Einprägen grundlegender Flugmuster anhand von großen, farbigen Karten, denn leider war Junior schon wieder während einer Hochgeschwindigkeitskehrtwende um den wunderschönen Dunklen Turm voll in einen kleinen Wachturm geknallt (was dem Höllengeier wenig, dem Turm aber eher viel ausgemacht hatte) - ihr erinnert euch noch, dass Junior noch so seine Probleme mit dem Fliegen hatte? Natürlich war Papa Sauron nicht wirklich erfreut gewesen, und so musste der kleine Höllengeier nun in der behaglichen Höhle nachsitzen (wobei er natürlich nicht wirklich saß, sondern bequem auf dem Bauch lag), während seine Brüder sich draußen im warmen Aschenregen sonnten und vergnügt auf den Hängen des Feurigen Berges umhertollten (und gar nicht weit davon entfernt eine Hundertschaft fluchender Orks damit beschäftigt war, den Wachturm wieder aufzubauen; aber das waren Orks, und die fluchten immer).

Während also unser Höllengeier zum wiederholten Male damit beschäftigt war, sich die Abdrehschraube rückwärts einzuprägen, da ereignete sich ein merkwürdiger Zufall - Khamûl kam vorbei. Khamûl! Wenn ihr auch nur ein Viertel von dem gehört hättet, was ich über ihn gehört habe (und ich habe nur sehr wenig gehört von alldem, was es da zu hören gab), so würdet ihr bestimmt höchst verwunderliche Geschichten erwarten - denn Khamûl war nicht nur einer der bewundernswerten Ringgeister, einer der legendären Neun, denen die Höllengeier immer und jederzeit als Reittiere zur Verfügung standen, nein, er kam auch in der Hierarchie der Höllengeierreiter direkt hinter dem Hexenkönig, dem heimlichen Schwarm aller Höllengeier, der aber immer nur auf dem Alphahöllengeier ritt, was diesen so ein klein wenig überheblich gemacht hatte. Aber Khamûl war noch mehr: Er war einer von nur zwei Ringgeistern (der andere war natürlich der Hexenkönig), der noch seinen Namen hatte! Na ja, oder noch gehabt hätte, wenn da nicht etwas ganz fürchterlich schief gelaufen wäre.

Mit den Namen von Ringgeistern ist es nämlich so eine Sache, müsst ihr wissen. Eigentlich hatte immer nur Khamûl einen Namen, und der Hexenkönig hieß natürlich schon immer Hexenkönig. Alle anderen wurden zwar gelegentlich erwähnt, doch ihre Namen wurden nie genannt. Erst in der Zeit, als die Eiserne Krone das Szepter übernahm, wurden auch die Namen der anderen Nazgûl bekannt, und das war gut so: denn sonst hätte niemand von so klingenden Namen wie Dwar von Waw oder Indûr von Mûmakan gehört, ganz zu schweigen von Ren dem Unreinen. Leider aber verschwand die Eiserne Krone schließlich in der Versenkung (sie wurde zuletzt in der Umarmung zweier Balrogs gesichtet) und ihre Nachfolger, die Coda-Entzifferer, brachten es tatsächlich fertig, den Ringgeistern das Recht auf eigene Namen abzusprechen. Ganz im Gegenteil: sie gaben ihnen Nummern in einer dieser scheußlichen Elbensprachen, und das war's dann - Nummern! Da fehlten dann nur noch bunte Schals und Regenschirme, wenn ihr wisst, was ich meine. Einigen der so Umgetauften ging es mittlerweile gar nicht gut; vor allem dem Ringgeist-der-einst-als-Akhôrahil-bekannt-war (und jetzt einfach Úlairë Lemenya - "der Fünfte" - hieß) sagte man nach, er würde zwischen den Dienstreisen im Nazgûlquartier Marke "Istehschontot" umgehen und sich die guten alten Zeiten der Eisernen Krone zurückwünschen.

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