Der kleine Höllengeier

Kapitel 1: Eine unvorhergesehene Gesellschaft

In einer Höhle tief im Berg, da lebte ein Höllengeier. Nicht in irgendeinem schmutzigen, nassen Loch, in das die Enden von irgendwelchen Würmern herabbaumelten und das nach Schlamm und Moder roch. Auch nicht etwa in einer trockenen Kieshöhle, die so kahl war, dass man sich nicht einmal niederlassen oder gemütlich frühstücken konnte. Es war eine Höllengeierhöhle, und das bedeutete Behaglichkeit.

Diese Höhle lag am Hang eines ganz entzückenden kleinen Vulkans, den die hier wohnenden Höllengeier gemeinhin den "Feurigen Berg" nannten. Menschen, Elben und Zwerge (und wie sie alle heißen) gaben dem Berg andere Namen, und vielleicht habt ihr ja von ihnen gehört: Schicksalsberg oder Orodruin. Die meisten dieser Wesen erfüllte allein schon der Name des Berges mit Furcht und Schrecken, aber das lag nur daran, dass sie den Berg nicht so richtig kannten und seine Schönheit nicht zu würdigen wussten - wie sollten sie auch, wenn sie niemals hierher kamen?

Die Höhle war eigentlich eher ein großer, langer und angenehm hoher Tunnel, der sich tief in den Berg hineinwand. Zahlreiche kleine, runde Öffnungen zweigten von diesem Tunnel ab, zuerst auf der einen und dann auch auf der anderen Seite. Treppen zu steigen brauchte der Höllengeier nicht: alles lag auf dem gleichen Korridor, der sich sanft in den Berg wand. Ihr werdet euch nun fragen, warum ich das erwähne, wo doch jedes Kind weiß, dass Höllengeier ganz wunderschön große Flüge haben, mit denen sie erhaben ihre Runden um den großartigen Turm des Dunklen Herrschers drehen können - aber auch, unser Höllengeier war noch jung, und das mit dem Fliegen fiel ihm manchmal noch ein wenig schwer.

Dieser Höllengeier war der jüngste von neun Brüdern, weshalb sie ihn "Junior" oder auch (aber nur hinter seinem Rücken) "Unser Jüngster" nannten - aber dieser Name gefiel ihm gar nicht. Die Höllengeiers hatten schon seit undenklichen Zeiten (zumindest aber, so lange sie zurückdenken konnten) in diesem Berg gelebt, und die Leute hielten sie für außerordentlich achtbar - ein bisschen wild und ungestüm vielleicht und manchmal auch ein wenig reizbar, aber doch eben im Großen und Ganzen achtbar. Immerhin hätten die Nachbarn es viel schlimmer treffen können, und man konnte nie wissen, was den lieben langen Tag lang so den Weg über die Aschenebene finden konnte - eine übel gestimmte Gruppe Orks beispielsweise, die sich auf dem Weg zum Frondienst verspätet hatten und beim Abkürzen der Großen Spinne (einem wirklich scheußlichen Geschöpf, das die fernen Grenzen der lieblichen Heimat der Höllengeier bewachte und mit dem man gar nicht schön spielen konnte) ins Netz gelaufen war, oder einem der Trolle, die das Schwarze Tor bedienten, damit auch all jene bedauernswerten Kreaturen, die nicht wie ein richtiger Höllengeier fliegen konnten, das heimelige Land Mordor betreten und (manchmal) auch wieder verlasen konnten - nun, diese Trolle rissen sich manchmal von ihren Ketten los, fraßen ein paar Orks und liefen dann ziellos durch die pittoreske Felslandschaft, ohne so genau zu wissen, was sie denn eigentlich wollten (ein unhaltbarer Zustand, wie ihr zugeben müsst). Manchmal zogen auch ganze Orkhorden durch das Land, weil sie dringend an die Grenze verlegt werden mussten (meist, weil die blöden Menschen wieder Ärger machten), und so viele Orks auf einmal konnte ja niemand zum Mittagessen einladen. Nein, im Großen und Ganzen mochten die Nachbarn die Höllengeier.

Zurück zur Einleitung

Weiter