Des Dramas dritter Teil

Um 4.30 Uhr melden sich nahezu parallel der im Fernseher installierte Radiowecker als auch der Wecker des Handys des Alphageiers. Um kurz nach 5 drängen sich sechs Leute vor dem Hotel, um auf bestellte Taxis zu warten. Es kommt - eines. Zum Glück ist es ein großes, das alle sechs Leute fasst, und der Fahrer ist ein kluges Kind: Er fordert von jedem Passageier ... äh... Passagier den Preis des Busses (also 3 Pfund), wo doch die einfache Fahrt zum Flughafen so um die 8 Pfund kosten würde. Ist uns aber egal (so egal, dass der Rechtsgeier sogar vergisst, sich die obligatorische Quittung geben zu lassen). Die Bildschirmanzeige in der Hotellobby besagt, dass ein BA-Flug um 6.45 Uhr ausfällt, aber nicht der Frankfurt-Flug um 7.15 Uhr. Wie schön. Um 5.15 Uhr sind wir am Flughafen.

Die Schlange ist diesmal deutlich länger: sie windet sich um das halbe Terminal. Man weiß nicht so genau, wo sie hinführt, aber das ist egal: sie bewegt sich nicht. Während Éowyn auf das Gepäck und den Platz in der Schlange aufpasst, gehen die Geier auf erkundungsflug. Sie stellen fest, dass die Schalter, wer hätte es gedacht, leer sind. Aber halt - was ist das? Eine Frau in der Uniform des BA-Bodenpersonals! Nichts wie hin!

Dafür, dass sie gerade als Teil eines nicht mit der Gewerkschaft abgesprochenen Streiks ihren Arbeitgeber ins Chaos stürzt, ist sie erstaunlich unfreundlich. Es gelingt ihr, den Eindruck zu vermitteln, dass wir froh sein können, dass sie sich herab gelassen hat, hier zu erscheinen. "Wir kommen ja alle gerade, so langsam. Geben Sie uns ein paar Minuten, und dann geht es los." Als "Serviceleistung für die armen Passagiere" habe man den Betrieb wieder aufgenommen. Aber deshalb muss man sich ja noch lange nicht beeilen, und was sind schon ein paar Minuten Verzögerung bei solchen Mengen ungehaltener Fluggäste? Also sammeln sich die Höllengeier wieder um Éowyn und harren der großen Ereignisse, die da kommen sollen.

Und tatsächlich füllen sich die Schalter so langsam. Aber nichts passiert. Dann, plötzlich, eine Lautsprecherdurchsage: Die Passagiere, deren Flüge in den nächsten beiden Stunden gehen, brauchen sich nicht anzustellen, sondern sollen einfach einchecken. Irgendwo. Kaum ist die (aufgrund schlechter Lautsprecheranlage und nuschelnden Sprechers nur schwer verständliche) Ansage verklungen, ist Éowyn auch schon in Bewegung, und nachdem sich ehrausstellt, dass "irgendwo" nicht wirklich "irgendwo", sondern "nur an bestimmten Schaltern" bedeutet, stehen wir in einer kleinen Traube um einen dieser Schalter herum. In dieser Zeit zerfällt die Schlange in viele kleine Trauben um einzelne Abfertigungsschalter sowie eine nicht mehr ganz so große Schlange von Leuten, die entweder später fliegen oder noch nicht verstanden haben, worum es geht. Das Chaos ist perfekt, noch perfekter als gestern. Eigentlich weiß wieder niemand etwas, und das Schalterpersonal ist so wichtig, weil sie doch so großzügig sind, trotz des Streiks hier aufzutauchen, dass man nur zu gern den Grobgeier (der ja eigentlich als Inkarnation von Éowyn schon das ganze Wochenende anwesend ist) leibhaftig vorbeischicken möchte. Nicht das Holiday Inn Heathrow ist die Vorhölle - das hier ist die Vorhölle! Pandämonium!

Kaum in der Traube, kommt das nächste Gerücht auf: Eine telephonische Reservierung sei nicht genug - man brauche auch noch ein gültiges Ticket für den heutigen Flug. Das haben wir natürlich nicht, da die Dame am Telephon sagte, dass ein neues Ticket nicht nötig sei. Der Alpha wird kurz böse, drängt sich nach vorne und greift sich eine offensichtlich wichtige Frau, die so wichtig ist, dass sie keinen Schalter besetzen muss, sondern die Anderen beaufsichtigen darf. Ja, wir bräuchten ein Ticket. Was kann sie denn dafür, dass die Dame am Telephon das nicht wisse? Die Dame hätte uns den Flug bestätigt? Hm... Was soll das heißen, dann müssten wir im Computer sein? Ob sie nachsehen würde? NACHSEHEN? Außer der Reihe? Na gut, na gut... Ticket und Pass bitte... sie schaut nach ... wir stehen nicht im Computer. "Sag ich doch: Sie brauchen ein Ticket! Gehen Sie 'rüber zum Ticketschalter und kaufen Sie eins!" Immerhin kann der kluge Archivgeier noch einen Blick auf eine Liste mit sechs handschriftlichen Flugnummern erhaschen, die sie in der Hand hält. Richtig: Das sind die Flüge, die heute nicht ausfallen. Immerhin ist BA 902 um 7.15 Uhr nach Frankfurt dabei. Immerhin. BA 914 um 19.15 Uhr, der einzige andere Flug nach Frankfurt an diesem Tag, hat nicht so viel Glück.

Der Alpha fliegt nun persönlich zum Ticketschalter und sucht den Schlangenanfang. Er findet ihn nicht. Ein hilfreicher Ordner weist ihm den Weg nach draußen, aus dem Terminal heraus: "Aber nehmen Sie die rechte Schlange. Die linke führt zu den Abfertigungsschaltern." Eigentlich führt sie ins Nirgendwo, aber warum das dem Ordner sagen? Der Alpha schaut sich die linke Schlange ein paar Minuten an, stellt fest, dass sie sich kaum bewegt (obwohl der Ticketschalter mit vier Personen besetzt ist) und schaltet auf Angriffsmodus. Er fliegt zu Éowyn zurück und teilt ihr knapp mit: "Das wird nichts mit den Tickets. Wir bleiben jetzt hier und checken ein. Punkt." Woraufhin Éowyn, deren Stimmung sich schon wieder dem Nullpunkt zuneigt, erwidert: "Das ist gut. Wir kommen auch gleich 'dran." Es dauert noch ein wenig, denn vor uns wird gerade jemand weggeschickt, der kein Ticket, aber auch keine Reservierung hat und fürchterlich stinkig ist. Das (immerhin sehr freundliche) "Aber dafür kann ich auch nichts!" des Herren hinter dem Schalter interessiert ihn gerade gar nicht (was Éowyn und die Geier durchaus verstehen können). Es hilft ihm aber nichts: er muss wieder weg. Und dann sind wir 'dran...

Abwechselnd erzählen Éowyn und der Alpha von ihren Sorgen, stets mit dem dringenden Unterton, DASS SIE JETZT IN DIESES VERDAMMTE FLUGZEUG MÖCHTEN. "Ja, Moment", sagt der Herr hinter dem Schalter, "ich schaue einmal... ah, da sind Sie ja. Jeder ein Gepäckstück?" Zwei Minuten später sind die Koffer eingecheckt und wir haben neue Bordkarten. Das hat die blöde Tussi doch glatt den Namen des Alphas falsch eingetippt! Was kann denn daran so schwer sein, fünf Buchstaben einzugeben? Argh!

Ab jetzt geht alles ganz schnell: Wir gehen durch die Sicherheitskontrolle, Éowyns Mutter ruft an und will wissen, ob wir denn nun wirklich fliegen (wir antworten noch ein wenig ausweichend, denn noch sind wir nicht im Flugzeug), plauschen noch einmal kurz mit einem BA-Angestellten am Infostand (da auf der Bordkarte "Flugsteig 16" steht, auf den Bildschirmen in der Halle aber "warten Sie in der Halle"; wir brechen das Gespräch aber ab, als der Angestellte den Streik verteidigen möchte - "Sie kennen nicht alle Fakten" -, da niemand will, dass Éowyn ihn erschlägt) und erreichen schließlich den Flugsteig. Dort dürfen wir aber nicht hinein, weshalb wir noch ein wenig in der Gegend herum laufen. Als wir zurück kommen, dürfen wir hinein, und zwanzig Minuten später sitzen wir doch tatsächlich im Flugzeug (das nur zu zwei Dritteln besetzt ist). Erst jetzt schickt Éowyn die erlösende SMS an ihre Mutter, und eine Stunde später landen wir in Frankfurt. Das Gepäck kommt schnell, und der Alptraum hat ein Ende.


Epilog

Als ich diese Zeilen schreibe (Donnerstag, 24. Juli), ist der Streik zwar zu Ende, aber die Gwewerkschaft überlegt sich, jetzt öffentlich weiterzustreiken. Das neue Zeitkartensystem ist eingeführt (und die Gewerkschaft empfiehlt, es zu boykottieren). Insgesamt sind 400 Flüge ausgefallen, und ungefähr 100.000 Fluggäste waren (bzw. sind noch) betroffen. Der Schaden für BA wird pro Tag auf etwa 11 Millionen Pfund geschätzt, und es gibt noch immer rund 100 Personen, die noch immer nicht abgefertigt worden sind, viele davon seit dem Wochenende. Viele mussten beim Einchecken hören, dass ihr Flug bereits abgeflogen sei (die Flüge hoben immer mehr oder minder pünktlich ab und warteten nie lange) und für den Rest des Tages nichts mehr frei sei. Der Image-Schaden für BA ist beträchtlich.


Ich möchte den zweiten Teil nochmals lesen!

Ich will die Geschichte nochmal von vorne lesen!

Kann ich jetzt endlich zurück zum Nest?