Höllengeier über dem Quellenbuch Die zwei Türme

Das Erscheinen der Moria-Box hat so lange gedauert, dass es selbst für Decipher schon unübilch war. Zeitweise war das Produkt völlig aus den Ankündigungslisten verschwunden, und wenn der Archivgeier nicht ab und an mit Auslands-Chefredaktionsgeier Jeff Tidball geredet hätte, hätte er das Produkt auch schon fast abgeschrieben. Aber jetzt ist es da - und der erste Eidnruck ist: die Pappschachtel ist eine echte Pappnase. Oder so. Die Qualität der Schachtel ist halt schlecht, und nachdem Junior zwei Minuten damit gespielt hatte, war die Schachtel dahin. Spannung. .

Das machte aber gar nocht so viel, denn dann konnten wir endlich sehen, ob den auch das 'drin ist, was uns der Klappen... äh... Schachtelrückseitentext verspricht:

Fangen wir an mit dem Zwergenbuch. Das Westtor ist auf dem Cover, aber ansonsten ist innern schwarzweiß (und fast ausnahmslos illustriert). Das Inhaltsverzeichnis ist so großartig, dass wir es hier zitieren müssen, in seiner ganzen epischen Breite aus einem kleinen Kasten am rechten unteren Rand von Seite 3:

Chapter 1 4
Chapter 2 12
Chapter 3 28

Übersetzt heißt dies (steht auch auf Seite 3, aber im Fließtext): Kapitel 1 = die Geschichte der Zwerge; Kapitel 2 = die Sieben Häuser der Zwerge; Kapitel 3 = zwergische Gegenstände. Außerdem erfährt man ein bisschen Blah über die Namen der Zwerge (der Archivgeier weint heute noch), und schon geht's los:

Die Geschichte der Zwerge nimmt immerhin acht Seiten ein. Sie geht gemütlich und recht vollständig durch die Geschichte der Zwergen in allen drei Zeitaltern, die mit dem ersten Abschnitt des nächsten Kapitels endet, ohne dass das irgendjemand (ein Lektor oder sowas) bemerkt hätte. Nett ist die tabellarische Zusammenstellung der wichtigen Daten der Zwergengeschichte, die jemandem, der sich speziell für Zwerge interessiert, eine ganze Menge Blätterarbeit erspart. Danach werden tatsächlich die Sieben Häuser der Zwerge beschrieben, jedes einzeln im Stil des Zwergeneintrags im Grundregelnbuch. Letztlich entpuppt sich jedes der Zwergenhäuser als Hintergrundpaket, das direkt ins Spiel eingebaut werden kann. Man stelle sich einfach den Zwergeneintrag aus dem Grundregelbuch in seiner Grundstruktur vor und stelle sich dies für jedes der sieben Häuser durchgezogen. Auf dieser Grundlage lassen sich weitaus vielfältigere und differenziertere Zwerge erschaffen, als dies bisher der Fall war. Unter anderem verbergen sich hier zwei neue Auserwählte Berufungen (darunter der zwergische Drachentöter, der im Dritten Zeitalter sicherlich eher arbeitslos bzw. ausgestorben war - oder die waren alle in Urlaub, als Erebor befreit werden musste, kann ja sein). Der Archivgeier, der mittlerweile zu weinen aufgehört hat, lacht sich gerade scheckig, als er sich einen Drachentöter in der Post-Smaug-Ära vorstellt, der arbeitslos durch Mittelerde zieht und übreall nach zu erschlagenden Drachen fragt... Außerdem belehrt uns das Buch, dass 3 von 10 Zwergen weiblich sind und dass diese, wie Gimli ja auch im Film sagte, den Männern so ähnlich sehen, dass keiner den Unterschied bemerkt. Faszinierende Gesellschaft... Das Kapitel mit den Gegenständen und sonstigen Besonderheiten ist kurz und für die Spieler von Zwergen nützlich, wenn auch ziemlich unsortiert (Sprachen stehen hier neben Rüstungen und Zwergenspielzeug, und mit dem Bergmann tummelt sich auch noch eine dritte Auserwählte Berufung auf diesen vier Seiten). Eine Auflistung der Angerthas-Runen (live aus den Anhängen des Herrn der Ringe) auf der hinteren Umschalgseite schließt den Band ab.

Das Buch über Moria hat neben der Einleitung ganze sechs Kapitel und sein Inhaltsverzeichnis dann doch wieder auf einer eigenen Seite; tragischerweise tragen die einzelnen Kapitel durchaus aussagekräfige Namen, was der kommentarlosen Auflistung des Inhaltsverzeichnissen in Tabellenform den ganzen Spaß nimmt. Also hier als simple Aufzählung:

Nebenbei: Das Cover zeigt die Zwergenbinge kurz vor dem Auftreten des Balrogs. Den sieht man dann auf dem ersten Innenblatt, aber in schwarzweiß, und da sieht er echt langweilig aus (und auch der rauchend Gandalf von hinten auf Seite 7 macht nicht viel her). Bilder sind generell selten (und fast ausnahmlos auf die grioßen Einleitungsseiten zum Kapitelanfang beschränkt), was aber nichts ausmacht, da die Filmbilder halt in schwarzweiß nur beschränkt wirken.

Inhaltlich hat der Band halt das, was man so von ihm erwarten würde (und auch erwartet, wenn man schon eine Reihe anderer Büche über Zwergenbingen gelesen hat). Kapitel Eins ist eine umfassende Beschreibung der Geschichte Morias, wieder auch mit einer ausführlichen Zeittafel, wieder nützlich und hübsch. Das Kapitel schließt mit der Anmerkung, dass auch nach dem Fall des Baölrogs Moria immer noch von Orks, Trollen und sonstigem Gesocks überlaufen ist und, einer Prophezeihung zu Folge, erst zurückerobert werden soll, wenn Durin der Todlose zum siebten Mal in die Welt hineingeboren würde; hat also noch etwas Zeit und gibt derweil Stoff für viele Chroniken und Abenteuer (warum auch immer man das machen wollte; kein Höllengeier würde freiwillig in solch finstere Höhlen...). Das Kapitel über Chroniken in Moria sammelt allgemeine Hinweise zum Abhalten von Abenteuern in Khazad-dûm. Es gibt die üblichen Anmerkungen zu Reisezeit und Beleuchtung, und die schon in der ersten Einsteigerbox eingeführte Idee, dass man sich in Moria ganz gut verlaufen könne, wird in Form von Orientierungswürfen (gegen Wissen: Gebiet [Moria]) wieder aufgenommen; zusätzlich strahlt nun Moria selbst eine eigene Aura der Furcht aus, die sich in ebensolchen Würfen (in der Regel gegen Zw 15) äußert. Letztlich wirft das Kapitel dankenswerterweise die im HdR-Rollenspiel-Forum schon (wenn auch in anderem Zusammenhang) diskutierte Idee der Chronik über mehrere Generationen auf, was das Befreien von Moria doch erheblich vereinfachen dürfte. Eine Liste mit möglichen Elementen einer Chronik in Moria sowie diversen Abenteuerideen (wie üblich immerhin ein Absatz pro Idee) runden dieses Kapitel ab.

Die "Geographie von Moria" ist tatsächlich ein Überblick über Moria von West nach Osten und oben nach unten, und aufgrund seiner Länge (34 Seiten) ist es ziemlich umfassend. Wichtige Räumlichkeiten kommen komplett mit Raumplänen, und einiges davon erkennt man wieder: Durins Turm war schon so im Zwei Türme-Band (halt in Farbe und mit Photoshop-Verwischungswerkzeug, während hier in Schwarzweißdruck die unnatürlich-regelmäßigen Grundkarten zu bewundern sind); wenigstens hat man sich bei der Kammer von Mazarbul gegenüber der ersten Einsteigerbox etwas mehr Mühe gegeben. Hinzu kommen "archetypische" Raumbeschreibungen wie Werkstätten und Wohnungen, die immer wieder eingesetzt werden können. Ohne einen solchen Grundstock wäre der Band auch ziemlich nutzlos gewesen... Nahezu nahtlos schließen sich die 20 Seiten von Kapitel Vier an. Es präsentiert sich als Sammelsurium von fallen und Gefahren sowie von Regeln, wie man diese zu einem immer wieder neuen Höhlensystem zusammenstellt; Tabellen für Zufallsbegegnungen fehlen auch nicht. Alles ganz nützlich, aber halt bei weitem nicht so neu, wie die Autoren es gern hätten (aber dann wiederum sind die Wege, eine übergroße Zwergenbinge zu beschreiben, auch eher beschränkt, und dass TSR bereits vor 15 Jahren ein ähnilches System verwendet hat, möchte selbst der Grobgeier den Decipher-Autoren nicht zum Vorwurf machen (na gut, das war gelogen; aber alle anderen Höllengeier möchten es wirklich nicht). Mit am witzigsten ist noch der Versuch, zwei Sechsseiter als Pseudoprozentwürfel zu benutzen (also Zahlen von 11 bis 16, 21 bis 26 usw. zu erhalten); auch der auf diese Art und Weise eingeführte "W66" ist nicht wirklich neu, aber eine innovative Nutzung der systeminhärenten Ressourcen. "(Du? Onkel Archivgeier? Was heißt denn das?" - "Klappe, Junior. Das heißt, dass sie das beste aus den Würfeln gemacht haben, die sie haben." "Ach so. Warum sagst du das dann nciht gleich?" Weil's besser klingt, darum!")

Kommen wir zu den letzten beiden Kapiteln: Kreaturen und Abenteuer. Der Kreaturenteil gibt Spieldaten für Moria-Orks (inklusive Verweise und Ergänzungen zu den Regeln für Massenkämpfe auf Seite 270 des Grundregelbuchs, von denen viele Mitglieder des Rollenspielforums doch immer wieder überrascht sind, dass es sie gibt, sowie diverser spielfertiger Archetypen, so eine Art Berufung für Dummorks), mal wieder Balrog und Höhlentrolle, Höhlengeister, Ratten, Riesenratten, Fledermäuse - und hey, da ist auch der Wächter im Wasser wieder. Besonders nett ist auch die Antwort auf die Frage (auch im Rollenspiel-Forum in exquisit dummbrotiger Form gestellt - der Grobgeier), was es denn so alles in den Tiefen von Moria an Kreaturen gäbe - kurz, lauter fremdartige und einzigartige Viecher, die sich die Erzählerin schon selbst einfallen lassen muss. Und dann folgen tatsächlich zwei ausgearbeitete Abenteuer. Das erste ("Die Belagerung") haut halt so ein wenig vor sich hin (in dieser Reihenfolge geht's um Orks, einen Höhlentroll und nochmal Orks - wo hat der Archivgeier das schon einmal gelesen...?), während das zweite eine eher knappe Erkundungsmission in die Tiefen Morias ist. Dazu kommen noch einige Hinweise für eigene Abenteuer, die sich lesen wie Richtlinien zum Schreiben von Abenteuer allgemein, in denen an allen tauglichen Stellen des Wort "Abenteuer" durch das Wort "Moria" ausgetauscht worden ist. Sehr ökonomisch, aber auch nur sehr oberflächlich nutzbar; die Anweisungen befassen sich mit den Besonderheiten von Tolkiens Welt, nicht aber mit denen von Moria. Und dann ist der Band auch schon zu Ende.

Die beiden Posterkarten zeigen im Detail die Umgebung der Zwergenbinge und eine vertikale Darstellung der Gesamtstruktur des Komplexes (sehr nützlich) bzw. Pläne wichtiger Räumlichkeiten, die aus Roman und Film bekannt sind. Das "einzigartige System von 16 Kartenstücken" ist genau das: 16 auf dünnes Papier gedruckte Kartenstücke in sehr kleinem Maßstab ohne direkte Beschriftung (nur mit Raumnummern), die leider nicht wirklich gut aneinander gelegt werden können, da dabei zu viele gerade der kleineren Gänge im Nichts verlaufen. Das Kartenwerk ist gerade für zeitgeplagte Erzählerinnen ganz nett, aber so "einzigartig" ist das System dann doch nicht (und der Archivgeier hat es, gerade von TSR, schon besser gesehen).

Fazit: Sechs von neun Höllengeiern würden dieses Produkt kaufen. Junior findet Zwerge einfach langweilig; der Gewissensgeier hält wieder einmal das Preis-Leistungsverhältnis (insbesondere unter dem Aspekt, dass nicht einmal die großen Posterkarten farbig sind) für nicht zu rechtfertigen; und der Geschichtengeier hätte sich mehr Infos zum Erzählen von Geschichten in Moria (und bessere Abenteuer, aber so ist er nun einmal) erwartet. Der Archivgeier hingegen ist wegen der Geschichtsteile begeistert, und der Diskussionsgeier freut sich darüber, wie viele der im HdR-Rollenspiel-Forum andiskutierten Themen durch die Box abgedeckt werden. Der Grobgeier hielt die Box für zu instabil, stimmte aber zu, dass auch in einer kaputten Box ein gutes Buch sein kann.

Zurück zur Abflughöhle