Der Höllengeier in der dramatischen Literatur

Ein Vergleich des Einsatz des 'Höllengeiers' als Element des Schreckens in Shakespeares 'Macbeth' und Tolkiens 'Herr der Ringe'

Die besondere Bedeutung der Figur des Höllengeiers in der dramatischen Literatur des Abendlandes ist schon seit geraumer Zeit in der Forschung unumstritten1. Leider hat diese Anerkennung noch nicht außerhalb der intensiven Forschung Fuß gefasst und Einzug in das allgemeine Wissen gehalten. So lohnend der Versuch wäre dieses Fehlen, fast wäre man geneigt von einer Leere zu sprechen, abzubauen, so muss sich der Autor doch auf einen kleineren, aber ungleich interessanten Bereich in der Höllengeierforschung konzentrieren. Es wird in den folgenden Zeilen wird der Autor versuchen, die Figur des Höllengeiers in zwei der wichtigsten Werke der Weltliteratur zu betrachten: dem 'Herrn der Ringe' von John R. R. Tolkien und William Shakespeares 'Macbeth'.

Das wohl bekannteste Zitat, welches den Höllengeier als zentrales Thema hat, sind folgende Zeilen aus dem dem Band 'Die Rückkehr des Königs' aus 'Herrn der Ringe', in welchen Beregrond von der Wache der Veste der Stadt Minas Tirith bangend mit dem Hobbit Peregrin Tuk an der Balustrade der Festung steht und auf ein sicheres Heimkommen des Heermeisters Gondors, Faramir, hofft: ' Aber wie kann er das Tor erreichen, wenn diese widerlichen Höllengeier noch andere Waffen als Schrecken haben?'. Der 'Schrecken' als Symbol für das Grauen, welches von diesen Geschöpfen ausgeht, ist offensichtlich. Bei der sehr umfassenden Literaturlage2 wird auf weitere Ausführungen verzichtet. Faszinierend bleibt, wie durch den 'Herrn der Ringe' in den 60iger Jahren des 20. Jahrhunderts ein schon fast nicht mehr existenter Begriff wie 'Höllengeier' zu neuem Leben erweckt wurde und der mittlerweile aus dem Wortschatz der modernen Literatur nicht mehr wegzudenken ist.

Der Aspekt des Schreckens ist auch in den zweiten hier zu betrachtenden Textstück von Bedeutung. Es stammt aus Shakespeares 'Macbeth'3. In der dritten Szene im 4. Akt erfährt MacDuff über die Ermordung seiner Frau und seiner Kinder durch die Schergen von Macbeth. Nachstehender Ausruf MacDuffs folgt: 'Er hat nicht Kinder! All die süßen Kleine? Alle sagst du? - Oh Höllengeier! - Alle! Was! All die kleinen Küchlein, samt der Mutter! Mit einem wilden Griff?'.
Der Schmerz des seiner Familie beraubten Mannes ist überwältigend. Er ruft in seiner verständlichen Verzweiflung das grausamste ihm bekannte Geschöpf, den Höllengeier, an. An Motivationen sind verschiedene vorstellbar: um selbst durch dieses abscheuliche Wesen ebenfalls gerichtet zu werden und seiner Familie folgen zu können oder um es, einem Fluch gleich, Macbeth 'an den Hals zu wünschen'. Ob vielleicht sogar Macbeth gar selbst als Höllengeier tituliert wird, kann solange nicht endgültig beantwortet werden, wie es die historische Höllengeierforschung nicht schafft Aussagen zum Aufenthaltsort der Geier zu Zeiten Shakespeares bzw. Macbeth zu machen.4

Im Vergleich beider Szenen fällt auf, dass der Höllengeier geradezu als Sinnbild des Grauen von den Autoren eingesetzt wird. Sämtliches vorstellbares Übel wird in diesen Begriff projiziert und in einem persönlichen Ausbruch des jeweiligen Sprechers artikuliert. Es ist ein verzweifelter Versuch dem sie überkommende, fast schon erhabenen Grauen einen verbalen Ausdruck zu verleihen. Und, soviel privates sei dem Autor erlaubt, er ist gelungen.
Zwar ist der Schrecken im 'Herrn der Ringe' manifester, da auch physisch greifbarer, aber die Hauptwirkung, das 'Grauen', wie es von Tolkien tituliert wurde, geht tiefer und hat eine ganz andere psychologische Qualität. Momente eines sich unglaublich Kleinfühlens werden mit diesen Worten suggeriert. Der Mensch bzw. Hobbit bekommt das Unbedeutende seiner Existenz, sein dem Grauen ausgeliefert sein, fast schon brutal vor Augen geführt. Und wie die den 'Höllengeier'-Ausspruch umrahmenden Fragen andeuten, verliert das Leben des Einzelnen seine Bedeutung. Resultat ist das Ende des freien Willens und die Unterwerfung unter das Schicksal, dass man den Höllengeiern nicht entgehen kann.

- Turgon -


Literatur:

Nagel, Rainer: Der Höllengeier in der Forschung, Mainz 2002
Shakespeare, William: Macbeth (Übersetzung von Dorothea Tiech)
von Sillingen, Hartmut: Aspekte der Höllengeierforschung, Berlin 1927
Tolkien, John R. R.: Der Herr der Ringe, Stuttgart 1984


1 von Sillingen (1927), Aspekte der Höllengeierforschung, 4ff.
2 zuletzt zusammengefasst von Nagel (2002), Der Höllengeier in der Forschung, 37ff.
3 in der Übersetzung von Dorothea Tiech
4 was bei der dünner Quellenlage aus der Zeit auch nicht weiter verwundert

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