Höllengeier über der zweiten Einsteigerbox

Das Cover der Box zeigt Gimli, Aragorn und Legolas, in der Mitte den Ring (wie auf der ersten Box) und darunter die großen Ballistas der angreifenden Uruk-hai.

Total spannend ist der Aufdruck hinten bezüglich des Inhalts, der u.a. besteht aus:

"4 full-color character sheets detailing the heroes Aragorn, Legolas, and Gimli, as well as an unexpected ally." Die Spannung ist kaum auszuhalten...

Letztlich bleibt das Heft The Battle of Helm's Deep mit seinen 56 Seiten. Es enthält das beigegebene Abenteuer in drei Teilen. Es lehnt sich sehr eng an den Film an, noch weitaus enger, als dies bei der erste Box der Fall war.

Das Abenteuerheft beginnt mit der Auflistung einiger Zusatzregeln, die allesamt sehr stark an die Vollregeln angepasst wurden (so gibt es jetzt Ermüdungsgrade, und Erfolgsgrade zum Übertreffen von Zielwerten werden eingeführt).

All dies bringt uns auf Seite 10. Dann kommen zwei Seiten schrittweise Einführung im aus der ersten Box bekannten Stil, und auf Seite 12 geht's los mit Teil 1: "Across the Plains of Rohan". Hier passiert genau das, was der Titel sagt: Aragorn, Legolas und Gimli verfolgen die Orks. Das Ganze ist mehr oder minder eine Abfolge von Würfen auf Spuren Lesen, die Aragorns Spieler machen darf. Hübsch ist hier, dass genaue Ergebnisse für verschiedene Erfolgsgrade angegeben werden; dies könnte auch für neue Spielleiter der Vollregeln von Interesse sein.

Sind die Würfe wirklich gut, können die Charaktere die Orks einholen und gegen sie kämpfen (sind ja nur 30). Dazu braucht man dann die Karte mit dem Gras. Die gemeinen Orks sind stärker als die gemeinen Moria Orks (10 Wunden, dazu einer 6er-Rüstung), aber da Aragorn mit Andúril 2W6+7 Schaden macht, hält so ein Ork im Schnitt zwei Runden. Die Hobbits sind natürlich in jedem Fall weg, und wenn die Charaktere ihnen nach Fangorn folgen wollen, kommen erstmal die Rohirrim (auf Seite 19).

Und hier erweist sich die Befürchtung erfahrener Höllengeier als wahr: Die Dialoge auf den Charakterblättern sind deshalb nummeriert, damit die Spieler sie vorlesen können, wenn die Situation gekommen ist! Beispiel: Die Rohirrim tauchen auf, und die Erzählerin sagt zum Spieler von Aragorn: "Lies doch 'mal Zitat 1 vor". Dann sagt Aragorn brav: "It is the Horse-lords of Edoras - the Riders of Rohan. They are headed this way, but they do not appear to have seen us." Die Antworten der Erzählerin sind ebenfalls geskriptet, und wenn die Charaktere etwas sagen können/wollen, steht das alles auf ihren Blättern. Erst gegen Ende der ersten Begegnung findet sich ein (doch immerhin viertelseitiger) Absatz zum Thema "Leaving the Script Behind"; dann sind wir aber schon auf Seite 21. Der Rest der Seiten bis dorthin geht einzig mit der Unterhaltung mit Éomers Mannen drauf. In erster Linie werden hier diverse Soziale Würfe mit starken Vorgaben eingeübt. Dann kommen Spieldaten und zwei Seiten Hinweise, was denn zu tun sei, wenn es zum Kampf käme.

Nun dürfen die Spieler endlich nach Fangorn, wo sie den "unexpected ally" treffen. Ab diesem Moment darf dann auch der vierte von maximal vier Spielern mitspielen und - Achtung: Spoiler! - Gandalf übernehmen. Die Einführung von Gandalf benötigt bis Seite 26, und erst auf 27 treffen die Charaktere in Edoras ein.

Edoras wird beschrieben wie im Film, und vorgegebene Zitate (insbesondere von Gandalf) ersetzen die Beschreibungen. Die Hauptherausforderung in diesem Teil des Abenteuers besteht darin, die Waffen der Charaktere an Háma vorbei zu schmuggeln (wollen sie dies nicht, geht die Szene eher schnell). Auch hierzu gibt es Dialoge und festgeschriebene Szenen, durch die erneut Soziale Würfe (Überreden, Einschüchtern) eingeübt werden sollen. Das Abenteuer ist an dieser Stelle vosichtshalber idiotensicher: Gandalfs Fertigkeitswert in Überreden ist höher als der Schwierigkeitsgrad, wenn es darum geht, den Stab mitzunehmen...

Verpassen die Charaktere all ihre Würfe und weigern sich, ihre Waffen abzugeben, stehen sie halt vor der Halle und müssen warten, wie Gandalf schon sagte, bis Théoden es beliebe, zu ihnen hinaus zu humpeln.

In der Halle gibt es viel vorgeschriebenen Dialog zwischen unseren Helden, Théoden und Gríma, aber schließlich (immerhin schon auf Seite 36) kommt der Hinweis, die Erzählerin möge doch jetzt bitte Gandalfs Spieler darauf hinweisen, den Zauber Befehlende Stimme anzuwenden, um Saruman aus Théodens Geist zu vertreiben. Auch hier ist der Zw so niedrig, dass Gandalf kaum versagen kann. Zuvor gibt es, getreu der Handlung im Film, eine kleine Prügelei zwischen den Helden und den Wachen, damit Gandalf zum Exorzismus schreiten kann.

An dieser Stelle zeigt sich dann, dass das Spiel zwar die Filmbesucher anspricht, aber mit den Prämissen des Buchs operiert. Dies führt bei (gerade jungen) Kinogängern, die den Roman nicht kennen, zu noch größerer Verwirrung als in Moria (erste Box): Warum sollen sich die Helden weigern, ihre Waffen abzugeben? Im Film tun sie dies doch auch nicht? Warum hat Aragorn Andúril? Und warum weigert sich Aragorn, Théodens Autorität anzuerkennen? Im Film ist er doch sehr zurückhaltend? Das passt nicht so richtig, und in Höllengeierhausen sind die Meinungen gespalten, ob Decipher sich mit dieser Mischung einen Gefallen getan hat.

Aber weiter: Auf Seite 37 erreichen wir die Hornburg und bereiten uns auf die gropße Schlacht vor. Erst kommt ein Kampf mit Kundschaftern, dann werden die Truppen zusammen gezogen. Die Regeln sind eine leichte Vereinfachung der für den Massenkampf aus den Vollregeln, die an bestimmten Stellen (Erstürmen von Mauern, Einsatz von Leitern usw.) allerdings angemessen ergänzt werden. Alles in allem nehmen die Regeln zehn Seiten ein. Die Schlacht selbst geht über zehn Spielrunden und ist so gestaltet, dass die Spieler sie nur dann verlieren können, wenn sie zwischendrin ein Gruppenschläfchen einlegen und/oder die Erzählerin sich gerade zu einem neuen Napoleon aufschwingt. Das ist aber Absicht, denn, so belehrt uns der Text, die Spieler sollen ja Spaß haben. Die Erzählerin beziehe ihren Spaß in erster Linie daraus, die Spieler am Anfang ganz fürchterlich einzuschüchtern. Sehr bitter ist, dass die Helden über Anführer verfügen und die Orks nicht. Anführer sind echte Kampfschweine, die nie ihre Kampfmoral verlieren und auch nicht im Kampf sterben können (deshalb wohl auch kein Spielstein für Haldir, obwohl in Runde 8 einige Elben als Verstärkung auftauchen).

Die Schlacht ist ganz nett und spielt sich flott, aber ob sie so die brüllend gute Einführung in ein Rollenspiel ist, weiß ich nicht.

Dann kommt noch ein Epilog, und Schluss ist.

So richtig glücklich macht uns Höllengeier diese Box nicht. Am Anfang ist das Geschehen sehr (didaktisch) statisch, und wenn es freier wird, haben wir kein Rollenspiel mehr, sondern eine einfache Konfliktsimulation.

Für absolute Rollenspielneulinge in einem sehr jungen Alter mag das vieleicht sehr nett sein (das können alte Höllengeier wie wir nicht beurteilen; wir waren nie jung - und unser Jüngster fliegt noch um Barad-dûr), für alle anderen aber...?

Oh, Moment... Gerade kam unser Jüngster vom Rundflug zurück und hat sich die zweite Einsteigerbox angesehen. Dabei fiel ihm auf, dass es diesmal keinen großen Wiederspielwert gibt. Die erste Box hatte ja noch eine sehr flexible Anlage des Moria-Abenteuers und damit verbundenes Punktesystem, das den Widerspielwert steigern sollte. Das findet er langweilig, da er damals begeistert davon war, so oft und so lange Hobbits durch Moria jagen zu könne, wie er wollte. Und überhaupt, so sagt er, gäbe es zu wenig Hobbits in dem Spiel (nämlich gar keine).

Die zweite Box geht (das steht so im Text) davon aus, dass Teil I und II nur einmal gespielt würden, die Schlacht um Helms Klamm dann aber mehrmals.

Fazit: Zwei von neun Höllengeiern würden dieses Produkt kaufen. Einer meint, dies sei wegen der praktischen Erläuterungen der Erfolgsgrade für neue Spielleiter; der andere mag einfache, übersichtliche und schnell ausspielbare Schlachten.

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